Im Jahr 2022 haben wir, gemeinsam mit der Barbara-Schadeberg-Stiftung, die Vergabe von Schüler*innenstipendien zur gezielten Förderung einzelner Kinder und Jugendlicher ausgeschrieben. Für 1-3 Jahre konnten Stipendienmittel von bis zu 400 Euro pro Jahr beantragt werden. Diese Förderung ist Teil unseres mehrjährigen Projekts „Inklusion 2020+“, das darauf abzielt, Inklusion in evangelischen Schulen anzubahnen und dort, wo sie bereits gelebt wird, weiter zu unterstützen. Die Resonanz und Nachfrage nach unserem Förderprogramm für inklusive Schülerstipendien „Teilhabe ermöglichen – Stipendien für Hilfsmittel“ war hoch: Es erreichten uns über 30 Bewerbungen von Schulen in evangelischer Trägerschaft aus ganz Deutschland. Viele der Bewerbungen haben uns sehr berührt: Sie porträtieren die jeweiligen Schüler*innen mit ihren individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien und spiegeln gleichzeitig das große Engagement an evangelischen Schulen wider! Manchmal reicht Engagement allein aber nicht aus, und es bedarf einer gezielten Förderung durch Dritte. Wir freuen uns, dass wir hier zielgenau unterstützen können und porträtieren daher in einer mehrteiligen Serie eine Auswahl der Kinder und Jugendlichen, die wir mit unserem Förderprogramm „Stipendien für Hilfsmittel“ in den kommenden 1-3 Jahren unterstützen.
Vom Rollstuhl ins Kajak
Das Evangelische Gymnasium Nordhorn erobert in den letzten Jahren die Wasserwege der Stadt, indem der historische Hafen in der unmittelbaren Umgebung für die schulische Nutzung wiederbelebt wurde. Die Schule schaffte bereits Vierpersonenkanadier für den Schulsport an. Nun soll auch Kilian* mithilfe unserer Förderzusage ein entsprechendes Fortbewegungsmittel bekommen. Die 400 Euro Förderung aus dem Programm „Stipendien für Hilfsmittel“ wurden für die Beschaffung eines besonders fahrstabilen und kippsicheren Kajaks verwendet. Diese wird ihm in Zukunft eine Teilhabe am Wassersport in der Schule ermöglichen. Zusätzlich kann KIlian nun auch an spontanen Aktivitäten wie Klassenausflügen, Projektexkursionen oder kurzfristigen Ausflügen teilnehmen. Besonders reizvoll an diesem besonderen Kajak ist die hohe Autonomie für Kilian, die ohne große Anpassung darstellbar ist. Gleichzeitig kann er seine motorischen Fähigkeiten im Kajak optimal auf dem Wasser ausspielen. Kilian ist selbst sportbegeistert und schreckt vor sportlichen Herausforderungen nicht zurück. Mit dem Start zum Wassersport im Frühjahr wird er schnell große Fortschritte machen.
Soziale Beziehungen anregen
Elisabeth* ist 7 Jahre alt, ist mit dem Dandy-Walker-Syndrom geboren und hat einen erhöhten Förderbedarf in allen Bereichen. Die Lehrkräfte der Evangelischen Grundschule Kavelstorf schaffen für Elisabeth so oft es geht Spielanlässe und soziale Interaktionen ebenso wie Auszeiten in Form von Ruhe- und Schlafphasen. Hierbei liegt der Fokus gezielt auf Situationen, die soziale Beziehungen anregen sowie Kontakte zu den anderen Kindern schrittweise aufbauen. Ziel unserer Förderung „Stipendien für Hilfsmittel“ war es, Elisabeth, aber auch allen anderen Kindern zwischen 6 und 11 Jahren, Möglichkeiten der motorischen Entwicklung und der Steigerung von haptischen Fähigkeiten zu geben.
Die Evangelische Grundschule Kavelstorf konnte folgende sensorische und taktile Materialien anschaffen:
- Activity Board
- Früherziehungsmaterialien zum Erlernen grundlegender Fertigkeiten und Kleidungsfähigkeiten (Schleife binden, Knöpfe öffnen, Reißverschluss schließen)
- Taktile Scheiben
- Beleduc Wandelemente
Die besonderen Hilfsmittel führten dazu, dass sowohl Elisabeth als auch die anderen Kinder im gleichen Rhythmus miteinander spielen. Durch ansprechenden Aufbau und Gestaltung der Materialien, erlebten die Lehrkräfte ad hoc soziale Interaktion und inklusives Lernen auf Augenhöhe. Die frei zugänglichen Hilfsmittel motivieren zum Zeigen der eigenen Fähigkeiten und laden zum Üben ein. Dabei wird spielerisch zum gegenseitigen Unterstützen angeregt, sodass auch Kinder mit Förderbedarf ebenbürtig in die Interaktion einbezogen werden. Durch den Zugang für alle Kinder ergibt sich ein Zusammenspiel in der sozialen Inklusion. Gleichzeitig werden unterschiedliche Lernbereiche für alle angesprochen. Dadurch werden gezielt Anlässe geschaffen, um Emotionen wahrzunehmen und sich zu äußern. Außerdem regen die Hilfsmittel soziale Beziehungen an und bauen Kontakte zu Mädchen und Jungen aus anderen (inklusiven) Lerngruppen auf.
Lernen anders erleben: Der mobile Snoezel-Raum
Elif* benötigt aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen eine intensive Förderung auf sehr basaler Ebene. Dazu gehören vor allem regelmäßige Pausen, in denen sie ebenso eine Lageveränderung wahrnehmen kann. Mithilfe eines Projektionszeltes kann die Matthias-Claudius-Schule in Bochum einen flexiblen Ruheraum schaffen, der gleichzeitig durch den Einsatz unterschiedlicher Lichtspiele und Lampen zu einem ganz besonderen Ort wird. Neben den unterschiedlichen Lichtimpulsen kann der Snoezel-Raum auch auditiv erfahren werden. Mithilfe von Klangschalen können sanfte Töne eine kleine Ruhephase begleiten. Ebenso dient es als ritualisierter Impuls für den Beginn und das Ende einer Meditationsphase. Mithilfe einer Drehscheibe können die Lehrkräfte eine Lageveränderung unkompliziert vornehmen. Gleichzeitig dient sie der vestibulären Förderung. Elif hat so die Möglichkeit, ihren Körper noch einmal ganz anders wahrzunehmen, was ihr unheimlich Spaß bereitet! Memorys auf Hör- und Fühlbasis können sowohl als Entspannungs- als auch als Konzentrationsförderung eingesetzt werden.
Nach einer langen Zeit der Reha ist es für Elif manchmal noch schwer, in der großen Gruppe zu lernen. Sie braucht dann etwas Abstand und kann auf unterschiedliche Art und Weise handlungspraktisch lernen oder zur Ruhe kommen. Elif hat durch ihre körperlichen Einschränkungen andere Lernbedürfnisse und damit oft eine Sonderrolle. Zur Ruhe müssen wir sie oft überreden, denn lieber ist sie mittendrin dabei. Das Tolle an den Materialien rund um den Snoezel-Raum ist, dass sie sowohl alleine, als auch in der Gruppe nutzbar sind. Oft schauen Füße aus dem Zelt, weil sich jemand zurückgezogen hat, um Ruhe zu finden oder einen anderen Lernort benötigt.
Lebendige Gestaltung von Inklusion
So vielfältig diese Beispiele sind, so vielfältig und lebendig erleben wir die Gestaltung des gemeinsamen Lebens- und Lernraumes an Schulen in evangelischer Trägerschaft. „Die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und seine Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen, das ist ein Herzstück evangelischer Bildungsarbeit und ein elementarer Bestandteil von Inklusion.“, so Tobias Jarzombek-Guth, Projektleiter „Inklusion 2020+“ für die ESS EKD. Besonders beeindruckt hat uns der hohe Einsatz von Klassenleitungen oder Integrationsbeauftragten, die sich für die ihnen anvertrauten Kindern einsetzen. Sie machen in ihrer Kommunikation mit uns immer wieder deutlich, wie sehr sie sich mit ihren Schüler*innen freuen und wie dankbar sie für die Unterstützung aus dem Förderprogramm „Stipendien für Hilfsmittel“ sind. Dadurch lassen sie uns spüren, welch schöne Momente an den verschiedenen Schulen in Deutschland geschehen können.
*Name von der Redaktion geändert